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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

presseartikel1892-08-26 → Deutſche Orthographie
ortografie.ch ersetzt sprache.org ortografie.ch ersetzt in zukunft sprache.org

Der Bund (), , 43. jg., nr. 239, s. 1, erstes Blatt, fraktur (916 wörter)

Deutſche Orthographie

Die vom Departement des Innern auf den 24. Auguſt nach Bern einberufene interkantonale Konferenz, zur Beratung der Frage der Anbahnung einer einheitlichen Orthographie für die deutſche Schweiz, war von 17 Kantonen, ſowie vom ſchweizeriſchen Preßverband, dem Verein ſchweizeriſcher Buchdruckereibeſitzer, dem ſchweizeriſchen Typographenbund und dem ſchweizeriſchen Buchhändlerverein beſchickt und beſchloß nach einem Referat von Hrn. Profeſſor Bäbler und einläßlicher Diskuſſion (entgegen einem Antrage Dr. Stößel-Rüegg, die Beſchlüſſe des ſchweizeriſchen Lehrervereins, vom 5. September 1881, niedergelegt im „Rechtſchreibebüchlein“, zu beſtätigen):

1. Die interkantonale orthographiſche Konferenz ſpricht ſich für den Anſchluß an die preußiſche, d. h. die in Dudens „Orthographiſchem Wörterbuch“ feſtgeſetzte Orthographie aus. Ferner verleiht ſie dem Wunſche Ausdruck, es möchte in nicht allzuferner Zeit in der deutſchen Orthographie die Inkonſequenz in Betreff des „th“ verſchwinden, und erſucht endlich die kompetenten ſchweizeriſchen Behörden, eine größere Vereinfachung und Vereinheitlichung der Rechtſchreibung in allen Ländern deutſcher Zunge, ſobald die Gelegenheit dazu ſich bietet, mit Kräften zu unterſtützen.

2. Die Konferenz erſucht die h. Bundes- und Kantonsbehörden, alle Druckſachen von jetzt, reſp. 1. Januar 1893, an nur mehr nach der in Dudens „Orthographiſchem Wörterbuch“ feſtgeſetzten Orthographie herſtellen zu laſſen und derſelben ſo viel als möglich zur Durchführung zu verhelfen.

Ziffer 1 dieſer Schlußnahme wurde mit 15 gegen 7 Stimmen angenommen, Ziffer 2 ſtillſchweigend genehmigt.

Man darf ſich nicht verhehlen, daß unter denjenigen, welche für Dudens Orthographiebuch ſtimmten, ſich ſolche finden, die überhaupt der neuen Schreibweiſe abhold ſind und lieber beim Alten bleiben möchten. Wir ſehen darunter die Kantone, welche ſich ſtets gegen die neue ſchweizeriſche Orthographie ſträubten. Wäre es möglich geweſen, die letztere zu halten und zu allgemeiner Anerkennung zu bringen, ſo hätten wir ſie der „preußiſchen“ allerdings vorgezogen. Zum Troſte ſagten wir in unſerer geſtrigen Kummer, daß der Unterſchied nicht ſehr erheblich ſei. Ein Einſender der „Basler Nachrichten“ beſtätigt dies, indem er Beiſpiele anführt:

Dieſe Orthographie (von Duden) weicht von der unſeligen, d. h. der neuen ſchweizeriſchen, nicht weſentlich ab. Wer Anſtoß nahm an unſerer neuen Orthographie, der wird auch an der Duden’ſchen Anſtoß nehmen. Duden ſchreibt wie wir: Ware, Schar, Star, Schere, Los; Gefängnis, deshalb, Brot, u. ſ. w. Auch die Freunde des werden wenig erbaut ſein. Wohl iſt das th beibehalten in Eigennamen und Fremdwörtern griechiſchen Urſprungs, wie bei uns, ferner in einigen deutſchen Wörtern, wo das h als Dehnungszeichen aufgefaßt wird, obſchon es vor dem Vokal ſteht. So in Thal, Thaler, That, thätig, thun, Thon, thönern, Thor (der und das), thöricht, Thräne, Thüre. Aber auch jenſeits des Rheines ſchreibt man: Tau, tauen, auftauen, Teil, teilen, Teer, teeren, Tier, tieriſch, teuer, Teurung, weil in dieſen Wörtern die Dehnung hinlänglich bezeichnet iſt, und Turm, türmen, weil hier der Vokal nicht gedehnt iſt. Im Auslaut fällt das h überall aus: Wirt, Wert, Mut, rot, Rat u. ſ. w. Mancher, der mit dem Wegfall des h nicht einverſtanden war, würde doch in deutſchen Wörtern lieber überall, die Eigennamen ausgenommen, es weglaſſen, als die paar Ausnahmen machen zu müſſen. Bei uns iſt dies der Fall. Ein weiterer Unterſchied macht ſich geltend bei den fremden Verben, die auf „iren“ enden. Dieſe werden nach der ſchweizeriſchen Regel ohne e geſchrieben, nur regieren, ſpazieren, barbieren, einquartieren und tapezieren ſchreibt man „der entſprechenden Subſtantive wegen“ mit e. Nach Duden werden alle dieſe Verben gleich behandelt, mit ie geſchrieben, alſo auch: diktieren, korrigieren, marſchieren, dividieren, probieren u. ſ. w. Da geben wir der deutſchen Schreibung entſchieden den Vorzug, weil die leidigen Ausnahmen wegfallen. Bei den Fremdwörtern hat man bei uns mehr darauf gehalten, Allgemeingebräuchlichem das Bürgerrecht zu ſchenken und nach deutſcher Regel zu ſchreiben, ſo Akkord, Akzent, Zentner, wo Duden Accord, Accent, Centner ſchreibt. Manches iſt in Deutſchland ſelbſt noch ſchwankend, und man wird ſich auch in Zukunft in Bezug auf die Schreibung mancher Wörter ſtreiten.

Was das „th“ anbelangt, ſo ſollen nach dem Beſchluß der letzten ſchweizeriſchen Konferenz noch Studien gemacht werden. Das Gleiche ſollte geſchehen rückſichtlich der Frage, wie die großen Anfangsbuchſtaben zu verwenden ſeien. Auch darin herrſcht Unſicherheit. Ueberhaupt iſt die Orthographiefrage auch nach Duden nicht endgültig abgeſchloſſen. Doch find in den Hauptzügen feſte Normen gegeben und dieſer Umſtand fällt gegenüber den Einwendungen, welche gegen den Beſchluß der letzten ſchweizeriſchen Konferenz zweifellos erhoben werden, am meiſten ins Gewicht. Alle leiden unter der Unſicherheit in der Orthographie, am meiſten natürlich die Buchhändler, Buchdrucker, Redaktoren, Schriftſetzer.

Wir glauben, daß die praktiſchen Erwägungen hier den Ausſchlag geben ſollen. Das betonte auch Buchdrucker Büchler in ſeinem Referat, das in den Schlußworten ausklingt:

Zweimal iſt von der Schweiz verſucht worden, eine internationale Regelung der Orthographiefrage anzubahnen. Zweimal iſt dadurch verſucht worden, die von ſchweizeriſchen Schulmännern aufgeſtellte neue ſchweizeriſche Orthographie dem Auslande nahezulegen. Leider ohne Erfolg! Die preußiſche Orthographie hat mittlerweile ihren Weg gemacht und iſt die verbreitetſte auf dem deutſchen Sprachgebiet geworden. Sie wird der neuen ſchweizeriſchen Orthographie betreffend Verbreitung wohl zwanzigfach überlegen ſein. Sie iſt diejenige, welche alle Ausſicht hat, in Deutſchland zur Alleinherrſchaft zu gelangen. Nachdem wir dieſes nun erkannt, ſträuben wir uns nicht länger und ſchließen wir uns derſelben ebenfalls an! Einheit in der Orthographie bedeutet für die Schweiz weſentliche Verbeſſerung im Schulweſen, Beſſerſtellung ſämtlicher graphiſcher Gewerbe und Vorteile aller Art für die verſchiedenſten Berufsarten.

Der Patriotismus darf hier in dieſem Falle keine Rolle ſpielen. Die Wiſſenſchaft kennt keine Grenzen. Wenn wir uns in dieſer Frage dem Auslande unterziehen müſſen, wo die außer unſerer Machtſphäre liegenden Verhältniſſe uns dazu zwingen, ſo ſei uns dies nur ein Sporn, in andern internationalen Fragen, wo uns die Verſchiedenheit unſerer Landesſprachen eher zum Vorteil gereicht, internationale Werke der Wiſſenſchaft, der Humanität und der Volkswohlfahrt ins Leben zu rufen.